Ende
Gelände
2017

Kohle Stoppen. Klima Schützen.

  • 24. – 29. August 2017Rheinisches Braunkohlerevier
  • 3. – 5. November 2017während des UN-Klimagipfels in Bonn

2. - 4. Februar 2018: Ende Gelände Perspektiven-Treffen

Interview Karl

Was mich motiviert hat, Lai_innenenverteidigung zu machen, ist, dass Menschen sich gegenseitig und auf Augenhöhe verteidigen. Das ist nur die Anwendung dessen, was ich überall im Leben und im politischen Widerstand richtig finde: Menschen eignen sich Wissen und Handlungskompetenz an, organisieren sich selbst und miteinander ohne Steuerung durch hierarchische bzw. zentrale Institutionen. Sie wählen die Unterstützung durch Expert_innen aus eigener Überzeugung und nicht aus der Not.

Seit ca. 40 Jahren versuche ich mich, in hierarchiefreien, selbstorganisierten Gruppen zu organisieren. Es gab Projekte speziell zum Hierarchieabbau, viele Trainings zur Aneignung von Aktions-KnowHow usw. Als wir wegen unserer Aktionen zunehmend Ärger mit Polizei und Justiz bekamen, haben wir speziell für den Umgang mit diesen Methoden entwickelt, die kreativ, offensiv und hierarchiefrei zwischen den Beteiligten sind – Stichworte „kreative Antirepression“ und „Selbstverteidigung von Gericht“. Irgendwann entdeckte aus diesem Zusammenhang unabhängiger Aktivist*innen jemand den Paragraphen, der Strafverteidigung auch durch Lai_innen ermöglichte. Das entsprach unserem emanzipatorischen Politansatz. Solidaritätsarbeit unter Gleichgesinnten und Gleichgestellten wurde möglich. Inzwischen haben wir viele Trainings und Eigenfortbildung dazu gemacht.

Lai_innenverteidigung bietet die Chance, dass Menschen sich innerhalb solidarischer Zusammenhänge nicht nur emotional unterstützen, Briefen schreiben und Geld sammeln, sondern sehr praktisch gegenseitige Unterstützung gegen Polizei und Justiz machen zu können. Ich bin immer wieder Teil von Aktionsgruppen, die kreative, direkte Aktionen machen. Ein Beispiel ist die Autobahnsperrung beim Ende Gelände 2015. Die, die nicht so agierten, dass sie festgenommen wurden, konnten dann hinterher die anderen vor Gericht verteidigen. Das war schon vorher so ausgemacht. Wären Beteiligte vorab inhaftiert worden, hätten wir die Soli-Arbeit als Verteidiger_innen gemacht – mit zeitlich umfangreichem, unkontrollierten Besuchs- und Briefschreibrecht.

So ist es meistens, dass ich bei Aktionen beteiligt bin – direkt oder als Hintergrundrechtshilfe -, und dann als Verteidiger agiere. Aber es kommen auch mal andere Fälle hinzu, wenn Menschen mal um Unterstützung anfragen und ich gerade Zeit und Lust habe. Außerdem unterstütze ich noch Menschen, die in forensischen Psychiatrien, langen Haftstrafen oder sogar Sicherungsverwahrung stecken und vor dort in Soli-Arbeit integriert sind. Hier hilft das Verteidigermandat, um einen intensiven und unkontrollierten Kontakt zu haben. Ich mache zum Beispiel die Unterstützungsarbeit für die Interessenvertretung Inhaftierter, also einer Art Selbsthilfegruppe von Gefangenen bundesweit.

Ich bin selbst in sehr unterschiedlichen Themen unterwegs, unter anderem ja viel in der Justizkritik, Anti-Knast- und Anti-Zwangspsychiatriearbeit selbst. Da ist die Verbindung zur Lai_innenverteidigung sehr unmittelbar. Allerdings werde ich deshalb mitunter als Verteidiger auch abgelehnt von den Gerichten, die finden, dass Kritiker ihrer Zunft in ihren heiligen Hallen nichts zu suchen haben. Das ist dann immer auch ein politischer Kampf um Meinungsfreiheit im Gericht. Die Antibraunkohle- und Klimaschutzaktionen haben für mich mit dem Aufbau der Werkstatt für Aktionen und Alternativen (WAA) in Düren und daraus folgend der Besetzung des Hambacher Forstes begonnen. Ich habe dann selbst an der ersten Kohlezugblockade teilgenommen, auch um solche direkten Aktionen populärer zu machen. Seitdem warte und freue ich mich auf den daraus folgenden Prozess, den das Amtsgericht Kerpen aber seit fünf Jahren nicht zu beginnen wagt. Ich bin da dann selbst Angeklagter, als Laienverteidiger werde ich einen Energierechts- und Ausstiegsexperten benennen, damit das auch super abgedeckt ist. Zudem haben ich noch einen Anwalt als Pflichtverteidiger. Das lässt sich alles super verbinden.

Ich war bisher bei zwei Prozessen als Laienverteidiger vorgesehen, aber nur einmal wurde ich auch zugelassen. Denn anders als bei Anwält_innen muss das Gericht bei Menschen, die keine Anwaltszulassung haben, zustimmen. Das geht dann nach dem zweiten Absatz des Paragraphen 138 in der Strafprozessordnung. Und hier passiert eigentlich meist schon das Lustigste – keine*r der Robenträger*innen auf den gehobenen Sitzplätzen kennt diesen Gesetzesteil. So war es beim ersten Versuch, es ging um den wohl häufigsten Vorwurf im Rahmen von Ende Gelände, den Hausfriedensbruch. Staatsanwältin und Richter blätterten lange in ihren Gesetzeskommentaren.

Die Staatsanwältin, lustigerweise diejenige, die einige Wochen später dann den Krieg gegen die Laienverteidigung eröffnete, zeigte peinlichste Wissenslücken und behauptete doch glatt, dass das nicht ginge, weil das Rechtsberatungsgesetz das verbiete. Das war ein übles Nazigesetz, mit dem den jüdischen Anwälten, denen die Zulassung ja ohnehin schon entzogen war, verboten wurde, ehrenamtlich andere Menschen zu beraten. Weniger überraschend war dann angesichts der Kontinuität nationalsozialistischer Gesellschaftsformung in der BRD, dass dieses Gesetz noch sehr lange nach 1945 galt, nämlich bis Mitte 2008. In Erkelenz bzw. bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach war das aber wohl noch nicht angekommen oder es herrschte eine Vorliebe für alte Nazigesetze. Das Gericht konnte die Sache nicht klären und so wurde der Prozess einfach abgebrochen. Es dauerte dann sehr lange, bis eine Entscheidung fiel – und zwar eine Ablehnung.
Das hat mit dem zweiten Prozess zu tun, der viel spektakulärer war. Diesmal ging es gegen drei Angeklagte, die mit einer Transparentaufhängaktion an einer Autobahnbrücke die vollständige Sperrung der A61 stimulierten. Gesperrt hat sie dann zwar die Polizei und das war für die Ende-Gelände-Aktion sehr nützlich, weil ein Finger dann über die leere Autobahn laufen konnte und die Polizeikräfte anders eingesetzt wurden als die Brücken zu bewachen. Nun sahen die Repressionsbehörden wohl die Kletterer als Ursache für dieses Desaster ihrer ursprünglichen Strategie und eröffneten einen Prozess.

Hier, vor einem anderen Richter, aber auch am Amtsgericht Erkelenz, wurden für jeden Angeklagten ein_e Laienverteidiger_in ganz glatt zugelassen. Die Angeklagten stellten jeweils einen Antrag für die von ihnen gewünschte Person. Es war eine andere Staatsanwältin da, die zwar auch keine Ahnung hatte und eher rituell dagegen stimmte, aber der Richter sah das alles locker und genehmigte uns drei Laienverteidiger_innen.

Es folgte ein sehr, sehr spannender Prozesstag, an dem mittels sehr offensiver Zeugenvernehmung die Anklage komplett zertrümmert wurde. Am Ende der Sitzung stammelte die Staatsanwältin noch irgend etwas herum von wegen Änderung der Anklage und so – aber das nahm niemensch mehr ernst. Es war eigentlich durch, aber trotzdem wurde erstmal ein zweiter Prozesstag angesetzt. Da waren wir alle dann wieder da. Aber statt eines Abgesangs, also Freispruch oder Einstellung, passierte etwas ganz anderes. Jetzt kam nämlich wieder die Staatsanwältin vom ersten Verfahren – also die mit der Vorliebe für die weitere Gültigkeit von Nazigesetzen. Und die erklärte sofort den Krieg gegen uns. Sie meldete sich und wir dachten, jetzt käme die veränderte Anklage. Aber nein – die beantragte den Rauswurf aller, ja – aller, Verteidiger_innen.

Das ist mir auch noch nie passiert. Ich meine, also es war ja schon mehr als ein Prozesstag rum. Bei ihrem Begründungsversuch stammelte sie eher wirres Zeug, brach das dann ab und beantragte die Vertagung, damit sie das schriftlich fixieren könne. Das geschah auch – und heute ärgere ich mich, dass ich nicht ganz lässig den Antrag abgelehnt und verlangt hätte, weiter zu verhandeln. Wenn wir als Verteidiger*innen zu blöd sind, einen Antrag zu formulieren, wird ja auch nicht mit Rücksicht darauf alles abgebrochen. Aber irgendwie bin ich auf den Dreh erst später gekommen. Stattdessen gab es ein wüstes Wortgefecht mit der Staatsanwältin, in dem diese sich zu der Bemerkung hinreißen ließ, es sei hier ja alles sowieso nur ein Spiel. Immerhin – das Zitat wurde auch in der Zeitung abgedruckt. Es ist ja ein bemerkenswerter Spruch, dass eine Anklagebehörde, die immerhin für den gesamten Landgerichtsbezirk Mönchengladbach, also alle Ende-Gelände-Verfahren zuständig ist, das Ringen um Strafe, Tatabläufe, mögliche Gefängnisaufenthalte usw. als Spiel bezeichnet. Mag für sie ja so sein. Sie verdient ihr Geld so oder so – wir müssen aber büßen.

Die Sache mit der Zulassung bzw. Ablehnung der Lai_innenverteidigung lief dann ja außerhalb der öffentlichen Termine auf schriftlichem Weg. Denn formal war das ein Beschwerdeverfahren. Die Staatsanwaltschaft legte Beschwerde ein gegen unsere Zulassung etwas seltsam, zwei Verhandlungstage und mehrere Wochen nach dem Zulassungsbeschluss. Es war sofort erkennbar, dass es gar nicht mehr um irgendeinen Sachbezug ging. Die Staatsanwaltschaft wollte die Lai_innenverteidigung als solche bekämpfen und wählte halt dieses Verfahren, weil sie – durchaus richtig – erkannte, dass hier dieses Instrument am wirksamsten und umfangreichsten eingesetzt wurde.

Die Beschwerde der Staatsanwaltschaft selbst war eine wirre Aneinanderreihung vielfach sinnfreier Sätze. Das Schreiben hatte auch keine Form. Vom Gericht übermittelt wurde uns eine Abschrift handschriftlicher Notizen. Jede Wette: Käme so etwas von uns, wäre es schon von der Form her abgeschmettert. So aber ging es seinen Gang. Der Amtsrichter lehnte die Beschwerde ab und bescheinigte uns korrektes Verhalten. Aus seiner Sicht war ein Rauswurf unsinnig. Aber die Staatsanwaltschaft sitzt in Mönchengladbach beim Landgericht. Und das ist die Beschwerdeebene. Da war möglicherweise schon vorher ordentlich gekungelt worden.

Jedenfalls schmiss uns das Landgericht tatsächlich raus – und zwar mit einer spektakulären Begründung: Wir hätten eine justizkritische Gesinnung. Bei Cecile und mir zitierten sie irgendwelche Passagen aus dem Internet, die gar nicht im Zusammenhang mit dem Prozess standen. Beim dritten Laienverteidiger fanden sie keine passenden Passagen und haben dann einfach in den Beschluss geschrieben, dass der bestimmt ähnlich denkt, weil er ja mit uns zusammen verteidigt. Also eine groteske Kombination von Gesinnungsjustiz und Sippenhaft. Meinungsfreiheit scheint im Landgerichtsbezirk Mönchengladbach also zumindest für alle, die in Strafverfahren agieren, nicht zu gelten. Wir haben logischerweise Verfassungsklage eingereicht, denn irgendwann ist die Meinungsfreiheit ja in das Grundgesetz reingeschrieben worden. Ob das in Mönchengladbach noch nicht bekannt ist oder wieder vergessen wurde, wissen wir nicht. Die Gefahr besteht natürlich nun, dass das Verfassungsgericht – wie so oft bei Klagen – sich den Text gar nicht anguckt, sondern pauschal die Annahme verweigert. Das wäre für die Rechte der Angeklagten in diesem Land eine ziemlich schlechte Nachricht, denn auf die Art, wie das Landgericht Mönchengladbach hier Recht gebeugt hat, könnten jederzeit beliebig Verteidiger*innen abgeschossen werden – die Angeklagten müssten das dann ja ausbaden.

Abschließend würde ich sagen, dass ich bei der deutschen Strafjustiz denke: Schlimmer kann es nicht werden. Aber ich irre mich da immer. Auf der anderen Seite zeigt das Verhalten, dass Lai_innenenverteidigung ein sehr scharfes Schwert ist. Die Gerichte erwehren sich ihrer durch Rauswürfe. Dafür beugen sie das Recht. Sie wissen: Im Prozess haben schaffen sie das nicht mehr, zu gewinnen, wenn offensiv verteidigt wird. Es wird also höchste Zeit, dass diese Ideen sich in politischen Bewegungen weiter verbreiten.