Ende
Gelände
2017

Kohle Stoppen. Klima Schützen.

  • 24. – 29. August 2017Rheinisches Braunkohlerevier
  • 3. – 5. November 2017während des UN-Klimagipfels in Bonn

2. - 4. Februar 2018: Ende Gelände Perspektiven-Treffen

Repressionserfahrungen nach Ende Gelände 2015 im Rheinland – eine Zwischenbilanz

Anmerkung: Dieser Bericht wurde am 27.07.2017 veröffentlicht, also vor dem Ende Gelände im August 2017.

Die Ende Gelände Aktionen im August 2015 mobilisierten mehr als 1000 Menschen, um für einen Tag den Tagebau Garzweiler lahmzulegen. Es war die erste Aktion dieser Art und in dieser Größenordnung, die sich direkt gegen die deutsche Braunkohleindustrie richtete. Viele Dinge waren von Erfahrungen anderer Kämpfe inspiriert und wurden von uns ausprobiert und weiterentwickelt. Sie dienen uns nun als Hilfe für die Planung weiterer Aktionen. Während sich viele politstrategische, logistische und taktische Aspekte der Aktion im direkten Nachgang auswerten ließen, nimmt die Bilanz der rechtlichen Konsequenzen erst jetzt, knapp zwei Jahre nach der Aktion, Kontur an. Im Folgenden möchten wir diese Bilanz darstellen und versuchen, daraus ein paar Rückschlüsse für die kommenden Aktionen zu ziehen.

Das Verhalten der Staatsgewalt

Bereits während der Aktionen in und um Garzweiler agierte die Staatsgewalt im Verbund mit privaten Sicherheitsbediensteten derart brutal, dass der gesamte Einsatz in den Medien zerrissen wurde und ein Sicherheitsmann in einem anonymen Interview gar sagte, er sei selbst von der Brutalität der eigenen Leute erschrocken gewesen. Doch, wie zu erwarten, wurden daraus keine öffentlichkeitswirksamen Konsequenzen gezogen und alles wurde polizeiintern ausgewertet. Und auch politisch wurde die Auswertung im Landtag erst verschoben und dann ganz hinten in der Tagesordnung angesetzt, sodass beispielsweise der Innenminister sich nie öffentlich dazu äußern musste.

Konsequenzen für Aktivisten

Scheinbar willkürlich versandte Strafbefehle

Doch was geschah mit den Aktivistis? Zuerst einmal ist festzuhalten, dass  ausschließlich jene mit einer längerfristigen juristischen Auseinandersetzung rechnen mussten, die bei der Personalienfeststellung durch die Polizei auch Personalien angaben. Nachdem der Repressionsapparat dann so langsam ins Laufen kam, gingen neun Monate nach der Aktion die ersten Strafbefehle raus.
Dabei ist bis heute nicht ersichtlich, nach welchen Kriterien die Strafbefehle verschickt wurden, denn es wurden bisher bei weitem nicht an alle polizeilich identifizierten Aktivist*innen mit einem solchen Schreiben belästigt. Viele derer, die ihre Personalien angegeben hatten, mussten also eine Weile mit der Angst vor Repression leben, wurden aber niemals belangt.

Der Vorwurf: Haus- oder Landfriedensbruch

Jenen, die einen Strafbefehl erhielten, wurde in den meisten Fällen Haus- oder Landfriedensbruch vorgeworfen. Ein solcher Strafbefehl beinhaltet einen Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft als erwiesen ansieht und eine damit einhergehende Strafe; in unseren Fällen handelte es sich dabei meist um eine mittlere dreistellige Summe.
Es gibt unterschiedliche Arten damit umzugehen, die sich zuerst einmal sehr einfach unterscheiden lassen: zahlen oder Einspruch einlegen. Wer zahlt, akzeptiert die Strafe, das Urteil wird rechtskräftig und das Thema ist für diesen einen Vorgang abgehakt. Je nach finanzieller Situation ist dies die einfachste und entspannteste Variante. Damit erkennt mensch jedoch die vorgeworfene Tat offiziell als Straftat an und macht es so den Repressionsbehörden leicht. Insbesondere kann es bei weiteren Strafverfahren gegen die Person ausgelegt werden.

Konsequenzen eines Widerspruches

Von allen Menschen, die gegen ihren Strafbefehl Einspruch einlegten, wurde bisher kein einziger verurteilt. Nachdem es in den ersten Prozessen immer wieder zu Einstellungen gegen Auflagen kam, kristallisierte sich über die Monate heraus, dass die Staatsanwaltschaft unserer Argumentation, der Tagebau Garzweiler sei nicht vollständig umfriedet im Sinne des Gesetzes, nicht widersprechen kann. So erfolgten in der letzten Zeit mehrere Freisprüche und einige Einstellungen ohne Auflagen. Dass andere wegen der gleichen Vorwürfe vor einigen Monaten noch mehrere hundert Euro zahlen mussten, zeigt, was es bedeutet, wenn eine Staatsanwaltschaft kaum geprüft die Vorwürfe der Polizei übernimmt; und das es sich lohnt, sich zu wehren. Viele Leute haben hohe Strafen bezahlt, zu denen sie nach heutigem Wissen niemals hätten gezwungen werden dürfen. Doch so leicht sich diese Feststellung heute treffen lässt, so schwer ist der Umgang mit einem Strafbefehl im Moment des Erhalts.
Und tatsächlich ist Zeit hier ein entscheidender Faktor. Mit jedem Prozess haben wir dazu gelernt und hervorragende Verteidiger*innen (Laien und Anwält*innen) schafften es schnell, die neuen Erkenntnisse für weitere Prozesse zu nutzen. Und das, obwohl Gericht und Staatsanwaltschaft immer wieder solidarische  Laienverteidiger*innen nicht anerkannten und Prozesstermine kurzfristig verschoben. Unsere solidarischen Strukturen – nicht von Natur aus auf Prozesswellen eingerichtet – hielten jedoch diesen Zermürbungstaktiken weitestgehend stand. Und auch die Unterstützung vor Ort war immer wieder beeindruckend. Teilweise fanden sich Dutzende Unterstützer*innen im Gerichtssaal ein und erzeugten ein wunderbares Gefühl der Solidarität, das Verteidigung und Angeklagte in ihren Vorhaben stärkte.

Vernetzen statt Alleingang

Doch egal, für welchen Umgang sich Menschen entschieden haben: es ist immer enorm hilfreich, solche Entscheidungen nicht im Alleingang treffen zu müssen. Unsere Antirepressionsstrukturen standen für alle Angeklagten von Anfang an bereit. Ziel ihrer Arbeit ist nicht, den Betroffenen zu einer bestimmten Strategie zu raten, sondern die solidarische Unterstützung mit Wissen und anderen Grundlagen, um Menschen eine selbstbestimmte Entscheidung zu ermöglichen. Deshalb: wann immer ihr aus politischen Gründen angeklagt werdet, vernetzt euch! Nicht nur die Unterstützung solidarischer Strukturen, sondern auch die Vernetzung und Solidarisierung unter Angeklagten kann neue Blickwinkel und Handlungsspielräume eröffnen und den Umgang mit der Repression erleichtern.

Letztendlich halfen uns die Unfähigkeit von Polizei und Staatsanwaltschaft ebenso wie unsere eigenen Bildbeweise zu den kürzlich erzielten Erfolgen. Ob dieser für uns diesmal sehr positive Mix auch in Zukunft bereitsteht ist jedoch überhaupt nicht abzusehen. Schließlich lernen auch RWE und die Staatsgewalt hinzu und es ist gut denkbar, dass auf die Freispruchswelle hin nun entsprechende Maßnahmen zur Umfriedung der Infrastruktur erfolgen werden. Wir warten gespannt.